Huchenecke

Die Stubaier Huchenfischer-Enklave (von Luis Töchterle)

Sozialforscher würden sich wohl austoben („interpersonale Dependenzen im Kontext assimilierter Sozialisationsfaktoren“ und so...), wenn sie erklären müssten, warum es ausgerechnet in einem kleinen Tiroler Bergdorf, das nur einen schrecklich verbauten Durchschnittsbach zu bieten hat, einen Fischerverein mit weit über 100 aktiven Mitgliedern gibt. Und darunter einen wachsenden Schwarm begeisterter Huchenfischer.

„Gibt´s bei euch in Tirol keine Fische?“ Diese Frage – in steirischem (an der Mur), niederösterreichischem (Pielach) oder Kärntner Dialekt (Drau) gestellt, erntet meistens eine recht einsilbige, unklare Antwort: „Schon, aber andere“. Zu mühsam ist es, unbedarften Passanten zu erklären, was ein Huchen ist. Oder gar, dass man hunderte Kilometer fährt, um dann tagelang über vereiste Ufer zu balancieren, ohne einen Fisch zu fangen oder einen gefangenen wieder schwimmen zu lassen. Ja, als Nordtiroler Huchenfischer muss man vor allem eines gut können: Bei winterlichem Sauwetter weit mit dem Auto fahren. Denn der Huchenbestand im Inn grenzt schon an die Kategorie „es war einmal“. Vielleicht muss Sehnsucht mit Distanz gedüngt werden.

Die Vorgeschichte dazu bilden selten geglaubte Erzählungen von Luis über gesichtete oder gedrillte Huchen, versehentlich beim Äschenfischen in Kontakt geraten. Den eigentlichen Startschuss gab Großwildjäger Geri, der bei seinem ersten Versuch an der Drau einen Meterhuchen verliert und einen zweiten heimbringt! Der „Abkömmling“ trat nur eine Woche später im Auto von Luis die Reise ins Stubaital an. Von daher rührt die später oft wieder be- bis verzweifelte kollektive Hoffnung, dass man Huchen wirklich fangen kann.

Inzwischen sind etliche weitere Fischer zu Fängern geworden: Friedl, der seinen befreienden Urschrei nach dem Fang seines ersten Huchens leider nie mehr vorführt, oder Daniel, der sämtliche vegetativen Funktionen auf Null stellt, solange er bei etwas Tageslicht auf einen Huchenfluss sieht. Dann Paul, der schon mit 13 Jahren seinen ersten „Maßigen“ stolz am Pielachufer entlang getragen hat, und Siegi, der sich zum 50er mit einem Drauhuchen selbst das schönste Geschenk gemacht hat. Um diesen harten Kern, der voll mit dem Huchenfieber infiziert ist, gesellen sich einige Aspiranten mit hoher Ansteckungsneigung. Und wenn in Daniels Fischerstube, vielleicht sogar bei einem zünftigen Huchenschmaus, unglaubliche G´schichtln gedrückt werden, kommt es zu einem Boom von Neubeitritten zu gewissen Vereinen und entsprechenden Lizenzbestellungen.

Bei solchen Anlässen entstehen dann auch die verrücktesten Ideen. Wie zum Beispiel der fünfstündige Lebendtransport eines zum Verzehr bestimmten Zuchthuchens, nur um einen eifrigen Bewirtschafter glauben zu machen, der Fisch sei soeben aus seinem sorgsam gehegten Gewässer entnommen worden. Und ihn dann mit einem möglichst ahnungslosen „Mach kein Theater, is eh eine schöne Regenbogen!“ auf die Folter zu spannen.

Ein unschätzbarer Vorteil neben geteilter Freude und geteiltem Leid ist das Anwachsen des gemeinsamen Erfahrungsschatzes. Tipps über fängige Köder und Methoden, Lizenzgeber und Einkaufsquellen für ausgefallene Bindematerialien, Standplätze von starken Fischen und vieles mehr nährt die Zuversicht und Begeisterung der Beteiligten. Was wiederum ein Thema für Sozialforscher wäre...